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14.10.2022

Eurocampus Deutsche Schule auf Mallorca II Zeitzeugengespräch mit Thomas Drescher

Die Teilnehmenden der Projekttage in Palma de Mallorca setzten sich aus Schülerinnen und Schülern der zehnten, elften und zwölften Klassenstufe zusammen. Gemeinsam mit der Referentin der Deutschen Gesellschaft e. V. Christina Heiduck und dem Zeitzeugen Thomas Drescher tauschten sie sich über ihre ersten Assoziationen zu der DDR aus: Einige nannten den 9. November 1989 als entscheidendes Datum, während andere die Pressezensur, den Mangel an Menschenrechten oder die Planwirtschaft ansprachen. „Ich denke bei der DDR immer an meinen Vater, der die DDR miterlebt hat" sagte ein Schüler in der zweiten Reihe; für seine Klassenkameradin war es „meine Oma aus Thüringen". Der Vater einer Schülerin hatte seiner Tochter Nähzeug mitgegeben, welches er als Tierarzt in der DDR verwendet hatte. Auf den ersten Blick bloßes Garn, ließ sich bei genauerem Hinschauen ein entscheidendes Merkmal seiner Herkunft erkennen: „Gefertigt im VEB" las die Schülerin die Beschriftung des Etiketts vor und der „Volkseigene Betrieb" fügte sich thematisch in das zuvor erklärte System der sozialistischen Planwirtschaft ein.

Der Bericht des Zeitzeugen Thomas Drescher, damals wegen versuchter Republikflucht gefangen genommen worden, wendete die Aufmerksamkeit des Vormittags von den historischen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer persönlichen Geschichte. Im Stuhlkreis mit den Schülerinnen und Schülern erzählte er von seinen Erfahrungen als Jugendlicher in der DDR. Bereits in der Schule sei offenkundig gewesen, dass längst nicht jede Frage gestellt, längst nicht jede Meinung erwünscht oder auch nur tolerierbar gewesen sei. Bloß im Privaten hätte man den einen, besonderen Lehrer nach dem Hitler-Stalin-Pakt fragen können. Im Schulalltag wurden Zweifel an der „kapitalistischen Ausbeutung" – denn würde der Arbeiter, der monatlich 800 Mark in der DDR verdient nicht mehr ausgebeutet, als jener der 3000 Mark in der Bunderepublik bekäme? –mit einer Weisung zum Rektor quittiert. Gleichzeitig hätte die Gemeinschaft, oder vielmehr der Gruppenzwang in der DDR auch ihre Wirkungen gehabt, weshalb man selbst als kritisch eingestellte Person den SED-Massenorganisationen beigetreten sei. Spätestens als junger Erwachsener sei Thomas Drescher jedoch klar gewesen, dass er nicht in der DDR bleiben würde. „Für mich sollte sich Leistung immer lohnen. [...] Ich habe nie gedacht, dass im Westen alles aus Gold ist, aber allen anderen stand die Welt ja auch offen- also warum uns nicht?".


Den Fluchtversuch unternahm er zusammen mit einem Freund. Wer als erstes die mitgebrachten Leitern die Grenzmauern emporsteigt, was zu tun sei, sollten sie gesehen, sollten Warnschüsse abgegeben werden- all dies hatten sie bereits im Voraus besprochen. Auch emotionale Fragen hätten sich Thomas Drescher am Tag seiner Flucht nicht mehr gestellt: „Mein Zuhause, im Sinne eines politischen Zuhauses, ist die DDR nie gewesen" und so hätte er seine überwiegende Ungebundenheit angesichts des Risikos des Vorhabens als Vorteil empfunden. Die Flucht selbst habe ihm keine Angst bereitet; die Haft nach ihrem Scheitern, die durchgehend gedeckte Willkür der Polizisten, Wärter und Stasi-Mitarbeiter stünden jedoch auf einem anderen Blatt. Rückblickend wundert er sich, wie frech, wie provokant er einigen Beamten begegnet sei, habe er doch in den Fluren jene Gefangenen gesehen, die sich wiedersetzt hatten. Dass er und sein Freund jedoch Verbrecher sein sollten hätte ihm nie eingeleuchtet: „Wir machen keinen Scheiß, wir wollen nur frei sein" hatten sie, die Hände über den Kopf gehoben, noch dem Grenzpolizisten in der Nacht ihres Fluchtversuches zugerufen.


Als Tomas Drescher schließlich „frei" war – freigekauft von der Bundesrepublik, wenig mehr als zwei Wochen vor Öffnung der Mauer – habe er einige seiner ehemaligen Klassenkameraden wiedergetroffen. Auf dem Bildschirm an der Wand des Klassenraums zeigte er ein Foto: ein halbes Dutzend junger Männer, die Arme über die Schultern der anderen gelegt, vor einer Rekonstruktion der Freiheitsstatue und wehendes USA-Flaggen. Gefragt, ob er rückblickend etwas an seiner geplanten Flucht verändern würde, antwortete Thomas Drescher: „Mein Freund hat es an einer schwächeren Stelle des Zauns mit einem Spaten ohne Stiel und einem Dreizack geschafft. Das war einfach unschlagbar!".

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