18.11.2022
Deutsch-Norwegische Schule Oslo || Expertengespräch mit Stein Iversen
Nachdem die Schüler*innen der deutsch-norwegischen Schule in die Geschichte der Entstehung der DDR und in die persönliche Lebensgeschichte des Zeitzeugen Thomas Drescher eingetaucht sind, lag der Fokus am zweiten Tag des Workshops auf den deutsch-norwegischen Beziehungen. Diese wurden auf historischer Ebene wie auch hinsichtlich aktueller politischer Verknüpfungen betrachtet. So erfuhr die Thematik für die in Norwegen lebenden Schüler*innen auch einen lokalen Bezug. Als Experte auf diesem Gebiet war an diesem Tag Stein Iversen als Vertreter des norwegischen Außenministeriums zu Gast. Dieser hatte bereits als Mitarbeiter der Botschaft Norwegens in Berlin gelebt.
Zum Einstieg leuchtete an der Leinwand vorn im Klassenzimmer ein Foto des norwegischen Premierministers JonasGahr Støre und des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz auf. Es zeigte die beiden Männer auf einem Schiff bei einem Besuch des Bundeskanzlers in Norwegen. Symbolisch stand das Foto für die wichtige und enge Partnerschaft Norwegens und Deutschlands zueinander. Das sei aber noch nicht immer so gewesen, erklärte Stein Iversen. So erinnere sich Iversens Vater beispielsweise noch immer an deutsche Soldaten in Norwegen während des zweiten Weltkrieges. Dass Deutschland nun der wichtigste Partner des Landes ist, beweise eine enorme Entwicklung der Beziehung beider Länder. Laut Stein Iversen lässt sich die bilaterale Zusammenarbeit als „eine starke und vertrauliche Beziehung“ bezeichnen. Um diese Entwicklung zu erklären, muss auf die Geschichte Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg zurückgegriffen werden. Als Schlüsselfigur agierte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt. Die neue Ostpolitik Brandts hatte nicht nur eine Bedeutung für die DDR und die Bundesrepublikselbst, auch auf die norwegisch-deutsche Beziehung nahm die neue Politik Einfluss. So konnte im Jahr 1973 eine norwegische Botschaft in der DDR eröffnet werden.Stein Iversen bezeichnete außerdem die Erinnerungskultur in Deutschland neben der neuen Ostpolitik durch Willy Brandt als sehr prägend. Brandts Kniefall im Dezember 1970 in Warschau sei ein Symbol dafür gewesen, dass Deutschland sich mit den Verbrechen des zweiten Weltkrieges auseinandersetzte und auch ein Zeichen dafür, dass sich die deutsche Gesellschaft verändert hatte. Während Deutschland sich auch als Demokratie weiterentwickelt hatte, übernahm es auch international zunehmend an Bedeutung. So wurde die Bundesrepublik bereits 1955 Mitglied der NATO, war seit 1957 der Teil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ab 1973 gemeinsam mit der DDR Mitglied der Vereinten Nationen.
Nicht nur politisch ist Deutschland mittlerweile ein wichtiger Partner für Norwegen, sondern auch wirtschaftlich. Seit letztem Jahr gilt es sogar als der wichtigste Handelspartner Norwegens. Auch inmitten der „besorgniserregenden aktuellen Entwicklungen“ sei Deutschland ein wichtiger Partner, was die internationale Zusammenarbeit angeht. So vertieft sich das Zusammenarbeiten beider Länder seit dem Krieg in der Ukraine: Inzwischen ist Norwegen der größte Gaslieferant Deutschlands und gemeinsam mit Dänemark unterstützen sie die Ukraine mit Ausrüstungs- und Waffenlieferungen. Des Weiteren nennt Stein Iversen die Deutschlandstrategie, welche die weiteren Pläne der Zusammenarbeit beider Länder beschreibt, als Ermöglichung einer neuen Phase der Beziehung Norwegens und Deutschlands.
Auf die Nachfrage einer Schülerin hin, was diese Deutschlandstrategie im Konkreten bedeute, antwortet Stein Iversen, dass es sich dabei um ein Dokument handelt, welches die enge Zusammenarbeit jeglicher Bereiche wie beispielsweise Forschung und Verteidigung festhält. Darin soll die Frage beantwortet werden, wie die Zusammenarbeit in den nächsten Jahren noch weiter gestaltet werden kann. Zu dieser Frage leistete jedes Ministerium einen Beitrag. Die Schüler*innen beweisen großes politisches Interesse,indem sie weiter Fragen nach konkreten Beispielen der Zusammenarbeit stellen. Stein Iversen erklärte, dass Norwegen und Deutschland sich beispielsweisehinsichtlich militärischer Ausrüstung unterstützten. Außerdem haben beide Länder in der Bekämpfung der Pandemie eng zusammengearbeitet. Eine andere Schülerin rückte den Blick nochmals auf die Geschichte und fragte, inwiefern die Zusammenarbeit der beiden Länder vor dem Ukrainekrieg aussah. Hier betonte Stein Iversen den schon immer regen kulturellen Austausch und zog die Linie zurück bis ins vorletzte Jahrhundert, als der Künstler Edvard Munch in Deutschlandlebte. Eine weitere Frage bezog sich nochmals auf die Situation nach dem zweiten Weltkrieg: „Wie lange brauchte es um so etwas wie eine Entschuldigung Deutschlands annehmen zu können? Ab wann war eine Zusammenarbeit möglich?“ Iversen bekräftigte noch einmal, wie wichtig diese Frage ist und ging darauf ein, dass dieser lange Prozess viele Jahre benötigte. Doch erst seit der Jahrtausendwende habe sich diese Entwicklung nochmals schneller bewegt. Eine sehr aktuelle und wichtige Frage warf eine Schülerin auf, indem sie danach fragte, wie Norwegen damit umgehe, als eines der wenigen Länder an der aktuellen Versorgungskrise mit fossilen Brennstoffen Geld zu verdienen. Die Kenntnisse der Teilnehmenden des Workshops über die aktuelle Politik und deren Reflexion darüber überraschte auch den eingeladenen Experten.Stein Iversen bezeichnete den Umgang mit den Gewinnen der Öl- und Gasgesellschaften und die Beteiligung des Staates daran in Form von Steuerabgaben als tatsächliche Herausforderung. Positiv daran sei jedoch die Chance, das verdiente Geldin die Problemlösung der Krise zu investieren.
Nach einigen Fragen der Schüler*innen war auch Stein Iversen als Gast der Geschichtswerkstatt an den Meinungen der Teilnehmenden interessiert. Er wollte wissen, wie innerhalb der jüngeren Generation über eine EU-Mitgliedschaft Norwegens gedacht wird. Daraufhin diskutierte die Klasse über die positiven und die negativen Aspekte einer Mitgliedschaft.Wieder zeigten die Lernenden fundierte Kenntnisse über die aktuelle nationale und auch internationale Politik Norwegens. Bei dem gesamten Austausch mit dem Gast des Außenministeriums und der Referentin Christina Heiduck gewannen die Schüler*innen die Erkenntnis, dass bei der Diskussion aktueller Entwicklungen immer wieder auf die Geschichte Bezug genommen werden muss, um diese verstehen zu können. Auch in ihren Redebeiträgen verbanden die Schüler*innen ihre Kenntnisse zurGeschichte und der gegenwärtigen Politik miteinander - dieszeigte, wie wichtig es war, beide Perspektiven in dem Projekt zu betrachten.