18.11.2022
Deutsch-Norwegische Schule Oslo || Zeitzeugengespräch mit Thomas Drescher
Der Schülerworkshop „HIddenSTORY-Verborgene Geschichte(n)" startete an der Deutsch-Norwegischen Schule Oslo mit einem offenen Gespräch über die Assoziationen und Verbindungen der Schüler*innen mit der DDR. Die Berliner Mauer schien dabei eines der verbreiteten Sinnbilder unter den Teilnehmenden für die DDR zu sein. Eine Schülerin zeigte ein rotes Halstuch in die Runde und erzählte, dass sie dieses von ihrem Vater bekommen habe, welcher selbst in der DDR aufgewachsen ist. Als Teil der Pionierorganisation, als deren Namensgeber der ehemalige Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) Ernst Thälmann diente, sollten die Jugendlichen das rote Halstuch tragen. Die Schüler*innen tauschen sich weiter über Erinnerungen und Lebensgeschichten ihrer Familien und Bekannten aus, welche selbst in der DDR aufgewachsen sind, Tagesausflüge dorthin unternommen haben oder wie sie die deutsche Teilung und auch die Wiedervereinigung im Fernsehen wahrgenommen haben.
Nach einer Einführung der Referentin Christina Heiduck der Deutschen Gesellschaft e.V. erfuhren die Schüler*innen wie es zu einem geteilten Deutschland kam. Dieser geschichtliche Überblick über die Entstehungsgeschichte und die Grundzüge der DDR wurden von der Lebensgeschichte des ebenso angereisten Zeitzeugen Thomas Drescher ergänzt. Thomas Drescher wuchs mit seiner Familie in der DDR auf. Er selbst beschreibt sich als ,,mehr so der Freidenker“, ganz im Gegenteil zu seinem Bruder, welcher sich vielmehr mit der kommunistischen Ideologie identifizieren und sich für die Veranstaltungen der Jungpioniere begeistern konnte. Ergänzend zu Thomas Drescher Erinnerungen an seine Schulzeit berichtet die Referentin von dem Schulfach ,,Wehrkunde“ in der DDR. Schulunterricht, in welchem Fragen wie ,,Was ist ein guter Krieg?“ behandelt und praktische Kenntnisse zur Verteidigung der DDR in Wehrlager vermittelt wurden, empfanden die Teilnehmenden als sehr fremd.Als einprägsame Erinnerung aus seiner Zeit als Tischler in der DDR teilteThomas Drescher die Erinnerung an den Moment als er im Ostberliner Naturkundemuseum direkt an der Grenze zum anderen Teil der Stadt Fenster einbaute und auf der anderen Seite der Mauer die Menschen von einer Plattform herüberschauten ,,als ob wir im Zoo wären“.
Nach einigen Rückfragen zu seiner Schulzeit kam Thomas Drescher auf den Moment zu sprechen, in welchem ihm bewusst geworden wurde, dass er nicht in der DDR bleiben wollte. Das Gefühl der Bevormundung und sich nicht frei entfalten zu können bewegte ihn zu dem Gedanken an die Flucht. Diese Motive scheinen für die Schüler*innen sehr nachvollziehbar zu sein. Auf wenig Verständnis stieß Thomas Drescher damit jedoch bei seinem Bruder. Dieser machte klar, dass er als Grenzsoldat bei einem Fluchtversuch auf ihn schießen würde. Gemeinsam mit seinem Freund Dirk plante er damals die Flucht: Mit zwei Leitern wollten sie es über die Sperranlage und die Mauer nach Westberlin schaffen. Nachdem alle Details besprochen worden sind, machten die beiden sich an einem Montag spätabends auf den Weg. Thomas Drescher berichteteer ,,hatte keine Angst“, denn für ihn stand fest, dass er nicht weiter in der DDR bleiben wollte und sich auf seinen Freund verlassen konnte. In dem Moment als er mithilfe der extra angeschafften Leiter den ersten Blick über die Hinterlandmauer der DDR-Grenzanlagen warf,blendete ihn bereits ein Scheinwerfer. Rufe ertönten, Hunde und ein bewaffneter Grenzsoldat kamen auf ihn, so dass ihm klar war, dass der Fluchtversuch gescheitert ist. Angst verspürte er erstmalig, als die zwei Polizisten ihn und seinen Freund gewalttätig bei der Festnahme konfrontierten. Das Gefühl des Ausgeliefertseins und die Aufgebrachtheitdes einen Polizisten beschreibt der Zeitzeuge sehr eindrücklich. Auf die Rückfrage einer Schülerin nach der Verabschiedung von der Familie erzählte Thomas Drescher, dass er persönlich sich gar nicht verabschieden konnte da die Fluchtpläne streng geheim bleiben musste. So hinterließ er nur einen Abschiedsbrief an seine Mutter. Der Bericht über die Zeit in der darauffolgenden Einzelhaft verdeutlichte den Schüler*innen nochmals die Eindrücke über die Zustände und die herrschende Ideologie in der DDR. Die Zugfahrt in die Bundesrepublik Deutschland nachdem Thomas Drescher nach 9Monaten Haft von dieser freigekauft worden ist, beschrieb er als sehr emotional. Auf die Frage eines Schülers was er denn als erstes gemacht habe, antwortet der Zeitzeuge, dass er zunächst in einem Aufnahmelager untergekommen sei und dann bei einem Freund gewesen ist.
Die Verschiedenheit der Meinungen innerhalb einer Familie gegenüber dem kommunistischen Systembeschäftigt die Teilnehmenden des Workshops sehr. Sie fragten Thomas Drescher nach dem momentanen Kontakt zu seinem Bruder und ihrer Beziehung zueinander. Zum Abschluss sahen die Schüler*innen ein Foto des Zeitzeugen mit seinen Freunden vor einem Modell der Freiheitsstatue und wehenden USA-Flaggen. Amerika sei für ihm immer ein ,,Synonym der Freiheit“ gewesen. Auf den Begriff der Freiheit scheinen auch die Schüler*innen nach diesem so persönlichen Einblick in die Lebensgeschichte einen anderen Blick haben.