08.09.2022
Willy-Brandt-Schule Warschau II Expertinnengespräch mit Dr. Beata Jurkowicz
Am Donnerstag, den 8. September und letzten Tag der Geschichtswerkstatt „HIddenSTORY“ in Warschau, war Dr. Beata Jurkowicz zu Gast, um den Schüler*innen die polnische Perspektive auf Europa und die Integration des Landes in die Europäische Union nahezubringen. In der dritten und vierten Schulstunde trafen die Schüler*innen dafür die Historikerin in einem Klassenzimmer der Willy-Brandt-Schule. Dr. Jurkowicz, die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut Warschau zu deutsch-polnischen Beziehungen und Europapolitik forscht, blickte gemeinsam mit den Schüler*innen auf das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland und fragte nach der historischen Bedeutung der polnischen Grenzen und deren Bedeutung für den europäischen Einigungsprozess. Sie beleuchtete dabei verschiedene Aspekte mit dem Beispiel des Kreisauer Kreises, dessen Mitglieder während des Nationalsozialismus Widerstand leisteten. Als Sitz einer modernen Bildungseinrichtung schafft die Kreisau-Initiative mittlerweile Lern- und Begegnungsräume in der Stadt Krzyżowa, die heute in Polen liegt und früher den deutschen Namen Kreisau trug.
In drei Gruppen sammelten die Schüler*innen ihre Gedanken zu Fragen wie: „Was verstehen wir unter Versöhnung?“, „Warum war und ist die Frage nach Grenzen für Polen so wichtig?“ oder „Was sind heutige Schwierigkeiten der deutsch-polnischen Beziehung?“. Zum Stichwort Versöhnung fielen bei der anschließenden Diskussion Stichworte wie „Verzeihen“, „Kompromiss“ und „Frieden“. Der Gruppe fiel dabei für das Verhältnis Deutschlands und Polens speziell der Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal für die Helden des Ghettos 1970 ein. Der Bundeskanzler war damals nach Warschau gereist, um den Warschauer Vertrag zu unterzeichnen, der das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen regeln sollte. Auch die Versöhnungsmesse in Krzyżowa im November 1989, in deren Rahmen der polnische Premierminister Tadeusz Mazowiecki und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl den Friedensgruß austauschten, galten den Schüler*innen als Symbole der Versöhnung. Beim Thema Grenzen sprachen Dr. Beata Jurkowicz und die Schüler*innen unter anderem über Willy Brandts Ostpolitik zu Beginn der 70er-Jahre, das historisch bedingte polnische Sicherheitsbedürfnis und den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag, der 1991 nach der Wiedervereinigung Deutschlands mit seinem größten östlichen Nachbarland geschlossen wurde.
Die Inhalte regten die Schüler*innen zu einer kontroversen Diskussion an, die von den verschiedenen Schichtweisen der deutsch-polnisch gemischten Klasse profitierte. Besonders in Bezug auf die Herausforderungen der heutigen polnisch-deutschen Beziehungen fand sich ein breites Meinungsspektrum zwischen den Schüler*innen. Durch die Moderation und die faktische Einordnung der Geschichtslehrerin und Projektpartnerin Judith Ulbrich und der Referentin der Deutschen Gesellschaft e. V. Christina Heiduck konnten viele Meinungen verglichen und mit entsprechendem Fachwissen kontextualisiert werden.